Meisterhafte Anonymität

Festkonzert von „Musica Libera“ in Augsburg
Nachricht01.10.2022Svenja Schnepel
Festkonzert von „Musica Libera“ in Augsburg
„Musica Libera“ in AugsburgThomas-Dehler-Stiftung

Am 1. Oktober 2022 hatten die großen Komponisten der klassischen Musik wie Bach, Beethoven und andere einmal zu schweigen. Von Stille konnte jedoch im spätbarocken Kleinen Goldenen Saal in Augsburg keineswegs die Rede sein: „Musica Libera“, das stipendiatische Ensemble der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit bot unter dem Titel „Meisterhafte Anonymität“ beeindruckende Werke aus der Feder unbeachtet gebliebener, zuweilen geschasster, aber mit innovativem Kampfgeist ausgestatteter Komponistinnen.

Der spätbarocke Kleine Goldene Saal
Der spätbarocke Kleine Goldene SaalRegio Augsburg Tourismus

Das Prinzip der Anonymität war nicht selten bereits in der Lern- und Ausbildungsphase der Frauen angelegt: Für die Damen des Hauses schickte sich im bürgerlichen Milieu des 19. Jahrhunderts zwar das häusliche Klavierspiel, andere Instrumentengruppen wie das, eine unziemliche Pose erfordernde, Spiel des Violoncellos oder gar „das Gebläse“ kamen dagegen mitnichten in Frage. Ähnlich verhielt es sich mit dem eigenmächtigen Schaffensakt des Komponierens: Komponistinnen wie der Amerikanerin Amy Beach, mit deren „Drei Stücken für Violine und Klavier“, op. 40, Satz 1 das Konzert eröffnet wurde, blieb nur der zuweilen heimliche, autodidaktische Zugang zum Zauberwerk der Notation von erdachten Melodien.

Eine Chance auf Autonomie blieb für viele Komponistinnen eine schiere Illusion: Gegebenenfalls erzielte Einkünfte gingen entweder direkt an den Vater oder an den Ehemann. Heirat bedeutete oft einen nicht zuletzt gesellschaftlich erwarteten Rückzug ins Private, was Auftritte oder Publikationen unter eigenem Namen stark limitierte oder gänzlich ausschloss. Diesen Zwängen unterlag auch die berühmte Clara Schumann, geborene Wieck, in unterschiedlicher Intensität. Aus ihrem 70 Stücke fassenden Kanon standen die Liedkompositionen „Die Stille Lotusblume“, „Was meinst du, Blümelein“ und „Liebst du um Schönheit“ auf dem Konzertprogramm. Besonders plakativ erscheinen die Beschränkungen auch bei Fanny Hensel, geborene Mendelssohn Bartholdy, im Vergleich zur Förderung ihres Bruders. Die Geschichte im heutigen Sinne erfolgreicher Komponistinnen ist stets eine des Kampfes um Emanzipation wie bei Maria Szymanowska (Auswahl aus den „24 Mazurken für Klavier“), die in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Lebensunterhalt künstlerisch eigenständig bestreiten konnte. Auch Rebecca Clarke („Lullaby“) hatte sich gegen familiäre und gesellschaftskonservative Erwartungshaltungen durchsetzen müssen, was die Entscheidung für die Musik an finanzielle Not und eine relative Einsamkeit koppelte.

„Musica Libera“ in Augsburg
„Musica Libera“ in AugsburgThomas-Dehler-Stiftung

Neben gesellschaftskonformen, geschlechterspezifischen Regularien unterlagen Komponistinnen ebenso wie ihre männlichen Kollegen auch politischen Entwicklungszwängen, zum Teil auch rassistischer Diskriminierung, welche sie in die Anonymität zu verbannen drohten. Die polnische Komponistin Grazyna Bacewicz (hier mit dem zweiten Satz aus ihrer „Suite für zwei Violinen“) erlangte trotz der strengen Regime-Vorgaben der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Polen und der Sowjetunion internationale Bekanntheit. Die 1923 geborene, jüdisch stämmige Ursula Mamlok, geborene Meyer („Sonatine für zwei Klarinetten“), floh in den 1930er Jahren über Ecuador vor den Nationalsozialisten, schaffte es aber durch Engagement und Einfallsreichtum schließlich an renommierte Musikhochschulen in den USA. Florence Beatrice Price, geborene Smith („Deserted Garden“, arrangiert von Maria Leszczyńska-Thieu) hatte als afroamerikanische Frau im selben Land mit rassistischen Anfeindungen zu kämpfen, fand jedoch stets einen Weg für ihre Musik. Die durchsetzungsstarke Engländerin Ethel Smyth zeichnete sich nicht nur durch ihre meisterhaften Kompositionen aus, sondern engagierte sich zudem als Kämpferin in der britischen Suffragettenbewegung und verschrieb sich feministischen Themen wie in den dargebotenen Stücken „What if I were young again“ und der Frauenhymne „The March of Women“ (hier im Arrangement von Maria Leszczyńska-Thieu).

Die Internationalität von Musik ist auch in Kompositionen von Frauen wiederzuentdecken, was nicht zuletzt die lettische Sarah Feigin mit ihren Themen israelischer Folklore in der „Fantasie für Klarinette und Klavier“ zeigte. Auch die Französin Marie-Juliette Olga Boulanger, genannt Lili Boulanger, durfte in diesem Zusammenhang nicht fehlen; gespielt wurden „Zwei Stücke für Violine und Klavier“.

„Musica Libera“ in Augsburg
Musica Libera in AugsburgThomas-Dehler-Stiftung

Auffallend in den Biographien der Künstlerinnen ist ein enormer Kampfgeist für die Durchsetzung ihrer Hingabe zur Musik, um sich im Rahmen der jeweiligen gesellschaftlichen Begrenzungen und gegen zuweilen neidvolle männliche Kollegen behaupten zu können. Hieraus entwickelte sich epochenübergreifend in zahlreichen Fällen auch eine gezielt organisierte Form der Frauensolidarität. Im Rahmen des Konzertprogramms sind in diesem Zusammenhang vor allem Marie Elisabeth von Sachsen-Meiningen mit der „Romanze für Klarinette und Klavier“ sowie die bereits erwähnte Ethel Smyth zu nennen.

Zudem zeichnete die Frauen ein beeindruckender Einfallsreichtum über die musikimmanente Kreativität hinaus aus: Es galt sich eigene (Frei-)Räume zu schaffen. Einen systemkompatiblen Weg wählte Fanny Hensel mit ihren überaus erfolgreichen Sonntagsmusiken; an diesem Samstagabend fand sich ihre Komposition „Warum sind denn die Rosen so blaß“ auf dem Programm wieder.

Diesen bedeutenden, nun vielleicht zu ein wenig mehr Bekanntheit verholfenen Komponistinnen verliehen die Musikerinnen von „Musica Libera“ im Kleinen Goldenen Saal eine klangvolle Stimme. Die Besetzung der Instrumentalisten und Sänger bestand aus: Sibylla Elsing (Sopran), Anna Köbrich (Klavier), Sonja Kowollik (Klavier), Patrizia Bieber (Violine), Friederike Wendt (Violine), Svenja Schnepel (Viola), Shelly Ezra (Klarinette), Nadia Hashemi (Klarinette). Hannah Lehmann moderierte charmant und setzte die Stücke in den Kontext.

Die Musikerinnen von „Musica Libera“
Die Musikerinnen von „Musica Libera“Thomas-Dehler-Stiftung