Die Nürnberger Sicherheitstagung 2019
Vernetzte Sicherheit am Beispiel Mali
von Maik Schnierer & Ferdinand Knapp
Zum Jubiläumsjahr der Thomas-Dehler-Stiftung sollte bei der diesjährigen Nürnberger Sicherheitstagung nicht etwa Russland, China oder der Iran das Thema bestimmen, sondern der westafrikanische Binnenstaat Mali. Ein Thema, welches von den Leitmedien nicht grade täglich aufgegriffen wird, obwohl sich die Bundesrepublik mithilfe der deutschen Bundeswehr an der UN-Friedensmission MINUSMA beteiligt.
Tag 1: Festvortrag und gemeinsames Abendessen im Nürnberger Rathaussaal
Eröffnet wurde die Sicherheitstagung im Festsaal des Nürnberger Rathauses mit dem Festvortrag von PD Dr. habil. Markus Kaim, welcher als Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik tätig ist. Unter dem Titel: „Herausforderungen der Sicherheitspolitik: Wie neu sind die Bedrohungsszenarien?“ definierte Kaim die aktuellen Bedrohungszenarien und stellte sie in den Kontext bisheriger außen- und sicherheitspolitischer Konfliklösungen.
Kaim ist der Auffassung, dass die Akteure, welche für die weltweite Sicherheitslage verantwortlich sind, historisch gesehen - abgesehen vom sogenannten islamischen Staat - die Gleichen sind. Die daraus resultierenden Bedrohungslagen sind also nicht neu, allerdings aber die Überforderung der Institutionen. Durch die Digitalisierung hat sich auch, wie etwa mithilfe von Cyberwar, die Art der Kriegsführung verändert, während herkömmliche Machtressourcen wie Atomwaffen bestehen bleiben. Die Dynamik und Kraft der europäischen Union, so Kaim, hat sich zurückentwickelt, während die Russlands und Chinas anscheinend hinzugewinnt. Den Klimawandel sieht Kaim per se nicht als Konfliktgegenstand, sehr wohl jedoch aber die Ressource Wasser.
Dietmar Paun Oberst d. R. fasst die aktuelle Weltsicherheitslage in seinem Grußwort kurz zusammen. Der militärstrategische Lageplan des Pentagons des vergangenen Jahres unterscheide sich deutlich von dem von 2014: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist zwar nach wie vor präsent, allerdings werde eine komplett neue internationale Bedrohungslage gezeichnet. Amerikas militärische Vormachtstellung schwindet, die Konkurrenz von Russland und China erlebe eine Renaissance.
In einem Strategiepapier der EU bekam China das Label „Systemrivale“. Aber auch der Status der europäischen Union bröckelt. Von außen wird Europa als geopolitischer Schwächling eingestuft, und von innen wird es durch den Brexit und dem Erstarken von europakritischen bis feindliche Parteien geschwächt. All diese Aspekte sind für Paun ein wichtiger Grund, sicherheitspolitische Zusammenhänge zu klären. Nur wenn die Fakten und Risiken ausreichend diskutiert werden, lässt sich eine Akzeptanz für „oft unbequeme und teilweise schmerzhafte politische Entscheidungen“ erreichen. Deswegen sei er froh, dass es sicherheitspolitische Informationsveranstaltungen wie die Nürnberger Sicherheitstagung gäbe.
Tag 2 im Presseclub Nürnberg
Um die geopolitische Lage von Mali zu verstehen, beginnt der zweite Tag der Sicherheitskonferenz mit dem Vortrag der Diplom-Biologin wie Geologin PD Dr. habil. Hannelore Kußerow. Sie gibt den Teilnehmern einen Einblick in die geographischen Gegebenheiten des westafrikanischen Staates. Über die Hälfte des Landes liegt geographisch gesehen in der Sahelzone. In dieser versorgen sich die Menschen selbst mit Lebensmitteln, sind also durch die Subsistenzwirtschaft auf ackerbautaugliche Böden sowie Wasser angewiesen. Wiederkehrende Dürren, große Armut und eine der höchsten Geburtenraten der Welt machen es nahezu unmöglich, alle Menschen mit genug Nahrung zu versorgen. Das wenige Weideland und Holz werden gerodet, da Holz neben Wasser einer der wichtigsten Ressourcen für Hausbau und Kochen ist.
Durch die Perspektivlosigkeit kommt es zu Radikalisierungserscheinungen, die Anschläge im Namen Al-Qaidas sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die weltweite finanzielle Entwicklungshilfe versickert in vielen afrikanischen Staaten in großen Teilen aufgrund großer Korruption. Dazu kommen Drogen-, Menschen-, und Waffenhandel, welche dem Kontinent nicht nur finanziell schaden. Mali gehört laut UNICEF zu den Ländern mit dem größten Anteil von Kindern im Schulalter, welche die Schule nicht besuchen können. Die Energiekrise ist ein weiterer Aspekt, warum es in vielen Staaten Afrikas keine funktionierende Wirtschaft gibt, welche Arbeit und damit für viele einen Weg aus der Armut schaffen könnte. Paradoxerweise hätte Afrika mit Sonne, Wind, Wasser und Öl mehrere Möglichkeiten zur Energiegewinnung, aber das technische Know-How fehlt an den meisten Orten.
Malis Bevölkerung wird in den nächsten 10 Jahren einen Zuwachs von etwa 70 % erfahren, für das Jahr 2100 werden gar über 100 Millionen Einwohner prognostiziert. Diese Bevölkerungsexplosion gilt nicht nur für Mali, sondern auch in den anderen Subsahara-Staaten wie Niger oder Tschad. Aufgrund der oben genannten katastrophalen Zustände prognostiziert Kußerow für 2030 neue Flüchtlingsströme aus der Sahelzone in Richtung Nordafrika, mit dem Ziel Europa. Um diese Missstände also zu beheben, bräuchte es eine funktionierende Entwicklungshilfe sowie mehr Bildung für viele perspektivlose malische Kinder und Jugendliche.
Robin Schroeder war im Rahmen der MINUSMA-Mission als Civil Advisor (CIVAD) des 3.-6. Bundeswehr-Einsatzkontigents in Gao tätig. Er beriet die deutsche Bundeswehr am Einsatzstandort Gao in Fragen zur zivilen und politischen Lage sowie die deutsche Botschaft in Bamako in Fragen zu Stabilisierungsprozessen in Nord-Mali. Dabei diente er als Mittelmann für den Informationsaustausch zwischen den Sicherheitskräften in Mali sowie den politischen Vertretern in Deutschland. Zu seinen Aufgaben gehören jedoch nicht nur sicherheitspolitische Probleme, sondern auch infrastrukturelle wie die Wasserversorgung, Krankenhäuser, kaputte Fähren sowie Wahlbeobachtung. Sein Fazit fällt nüchtern aus: Mali sei noch weit von einem selbsttragenden Frieden entfernt, aber MINUSMA könnte Licht am Ende des Tunnels sein: Zwar sei die Mission noch weit vom Perfektionismus entfernt, trägt aber doch entscheidend zum malischen Friedensprozess bei und wird auch von der malischen Bevölkerung sehr geschätzt. Er empfiehlt Deutschland, langfristig und regional zu planen und die Bundeswehr keinesfalls überhastet abzuziehen. Ebenso muss dringend die Infrastruktur verbessert werden.
Marcel Ducamp wurde nach spezieller Ausbildung in Frankreich für die UN-Mission MINUSMA ausgewählt und war bis 2018 Individual Police Officer (IPO) in Gao. Dort half er der regionalen Polizei, ihre Kräfte besser auszubilden sowie die Öffentlichkeitsarbeit der lokalen Polizei voranzubringen. Sein Erfahrungsbericht: Ein gewaltiger Bürokratieapparat von Seiten der UN, Patrouille in gepanzerten Fahrzeugen, regelmäßig stattfindende Anschläge, Sprachbarrieren von Seiten der malischen Bevölkerung wie der malischen Polizei sowie „furchtbare“ klimatische Verhältnisse erschweren den Einsatz vor Ort. Dabei war es ihm wichtig, mit der Zivilbevölkerung in den Austausch zu kommen sowie mit der malischen Polizei auf Streife zu gehen, die diese ohne den Support der UN-Hilfskräfte gar nicht tun würden. Er zeigt eindrucksvolle Bilder von seiner Zeit in Mali, die erahnen lassen, unter welchen schweren Bedingungen die Polizeiarbeit in Mali nur durchgeführt werden kann.
Colonel-Major Faguimba Kansaye Oberst i. G. studierte in München und durchlief verschiedene Stabsoffiziers- und Generalstabslehrgänge in Kanada, Marokko und Deutschland. Später wurde er zum Verteidungsattaché und Hohen Beamten im Senegal ausgebildet. Dieses Amt übte er später bei der Botschaft von Mali in Berlin aus. Kansaye spricht fließend Deutsch und lobt die deutsch-malische Zusammenarbeit in seinem Heimatland. Mit den in Deutschland gemachten Erfahrungen und mithilfe des erworbenen Knowhows möchte Kansaye nun seiner Heimat helfen, denn seinem Land fehle es an Know-How. Wichtig seien, so Kansaye, eine funktionierende Infrastruktur sowie ein besseres Bildungssystem, denn dies könnte für viele Malier ein Schritt aus der Armut sein. Ebenso wichtig ist für Kansaye die Bekämpfung des Terrorismus in Mali. Der islamische Terrorismus, so meint Kansaye, sei nicht zuletzt durch die US-amerikanischen Interventionen in Afghanistan und im Irak, aber auch durch den Sturz des lybischen Machthabers Gaddafi, verstärkt worden.
Die malische Bevölkerung, so Kansaye, schätzt die Deutschen Polizisten und Helfer in Mali sehr. Dies sei bemerkenswert, da es keine weitreichende Deutsch-Malische Geschichte gäbe.
Oberst Aslak Heisner war als Kontigentführer der Bundeswehrtruppen im Rahmen der UN-Mission MINUSMA in Mali eim Einsatz. Heisner weist darauf hin, dass Deutschland, gemeinsam mit französischen Truppen, welche für die medizinische Versorgung benötigt werden, eine wichtige Rolle in Mali spielt. Dies sei insofern wichtig, damit Deutschland als internationaler Akteur wahrgenommen wird. Allerdings sei für die öffentliche Wahrnehmung sowie die Berichterstattung in Deutschland wichtig, dass einem klar sei, dass Mali nicht mit dem Afghanistan-Einsatz gleichzusetzen sei. Mali ist auch kein klassischer UN-Blauhelm-Einsatzort. Eine UN-Flagge und Blauhelme würden von Rebellen und anderen terroristischen Gruppierungen nicht respektiert und garantieren daher keinen Schutz.
Wichtig sind die geographischen Gegebenheiten für die technischen Instrumente der Bundeswehr: Staubige Böden und felsige Wege erfordern ein besonderes Equipment der Fahrzeuge; so reißen beispielsweise Kieswüsten die Reifen auf und man muss Ersatzteile aus Deutschland anfordern. In der Regenzeit kann das Wasser nicht abfließen und erschwert ein Vorwärtskommen der Fahrzeuge. Funktionierende Fahrzeuge sind deswegen so relevant, weil mit ihnen die wichtigen Transportwege in Mali gesichert werden müssen, um Drogen- und Waffenschmuggel in Mali einzudämmen. Heisner spricht auch die Probleme an, die seine Vorredner schon benannt haben: Schlechte Wasserversorgung, fehlende Infrastruktur und das aus diesen Punkten resultierende schwierige Betreiben von Landwirtschaft.
Sabine Odhiambo war als Vertreterin der deutschen Afrika-Stiftung vor Ort. Von 2011-2015 lebte sie selbst in Afrika und war als Leiterin der Sprachstudien am Goethe-Institut in Kenia tätig. Odhiambo machte in ihrem Vortrag klar, dass die Henne-Ei Problematik bezüglich der Entwicklungsländer, nämlich ob Wirtschaft Sicherheit schafft oder umgekehrt, sich nicht stelle: Es bräuchte zuerst eine stabile Sicherheitslage, damit sich die Wirtschaft entwickeln könne. Außerdem trägt ein „beschäftigungswirksames Wachstum“ und die daraus folgende Perspektive für viele junge Malier zu einer Schwächung der Dschihadisten bei.
Mali kommt ihrer Meinung in der Entwicklungshilfe im Vergleich zu anderen Ländern zu kurz. Der Aufbau einer neuen, funktionierenden Regierung könne der erste Schritt sein, um die miserablen Lebensumstände vieler Malier zu verbessern.
Die 20. Nürnberger Sicherheitstagung schließt mit einem Generationenwechsel bezüglich der Leitung der Tagung. Hildebrecht Braun MdB a.D., welcher die Veranstaltungsreihe vor 20 Jahren gegründet hat und seitdem moderierte, verabschiedet sich aus der aktiven Gestaltung der Nürnberger Sicherheitstagung. Der Geschäftsführer der Thomas-Dehler-Stiftung, Sebastian Zajonz, bedankt sich bei dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der FDP. Sein Nachfolger ist Bundestagsabgeordneten Ulrich Lechte, welcher im diesen Jahr gemeinsam mit Braun die Moderation übernahm und künftig das Erbe von Braun antreten wird. Die Thomas-Dehler-Stiftung bedankt sich bei Hildebrecht Braun für die jahrelange erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, ihn in den kommenden Jahren als Gast begrüßen zu dürfen. Auch dankt die Thomas-Dehler-Stiftung allen Kooperationspartnern sowie Referenten der Veranstaltung.
Hintere Reihe, von links nach rechts: Dietmar Paun Oberst d. R., Colonel-Major Faguimba Kansaye Oberst i. G., Ulrich Lechte MdB (Moderation), Sabine Odhiambo, Hildebrecht Braun MdB a. D. (Moderation), PD Dr. habil. Hannelore Kußerow
Vordere Reihe, von links nach rechts: Sebastian Zajonz (Geschäftsführer der Thomas-Dehler-Stiftung), Marcel Ducamp, Robin Schroeder