„Abschreckung ist die beste Verteidigung“!

Ulrich Lechte, Leiter der Nürnberger Sicherheitstagung | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung
Die Nürnberger Sicherheitstagung 2025 zur Zukunft der transatlantischen Beziehungen, der Situation Europas und der Bedrohung durch Russland
Die Münchner Rede von J.D. Vance, Trumps Gebaren gegenüber Wolodymyr Selenskyj im Oval Office, die Annäherung der US-Administration an Russland und andere autokratische Systeme, die gleichzeitige Dauerkritik an Europa und der Ukraine: Steht die transatlantische Partnerschaft vor dem Aus? Ist Europa auf sich alleingestellt? Moderiert von Ulrich Lechte und Prof. Dr. Eberhard Grein diskutierten darüber Experten aus Politik, Wissenschaft und Militär auf der Nürnberger Sicherheitstagung am 9. und 10. Mai 2025.
„Wir müssen diese militärische Dimension von Macht annehmen und verstehen. Denn andere Mittel werden nicht helfen.“
Im ersten Vortrag analysierte Prof. Dr. Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, die Politik Donald Trumps: Diese sei nicht von nationalen Interessen, sondern von Allmachtsfantasien, Rachegelüsten und Eitelkeit geleitet. Trump, der ein Bewunderer von Diktatoren sei, ziele auf eine Politik von starkem Mann zu starkem Mann. Die Bedeutung für Europa: ein „sicherheitspolitischer Gau“ aufgrund der Abhängigkeit von den Entscheidungen in Washington. Was also können die Europäer tun? Die Amerikaner an sich binden, „so lange es geht“, und in dieser Zeit verteidigungsfähig werden! Laut Bierling gebe es dafür ein Zeitfenster von drei bis fünf Jahren – „und die Ukraine erkämpft uns momentan dieses Zeitfenster“. Gefragt sei kollektive Führung, wobei Großbritannien, Frankreich als einzige wirkliche europäische Nuklearmacht, Deutschland aufgrund seiner Finanzkraft, auch Polen und auch die Ukraine die wichtigsten Akteure seien. Die Ukraine dürfe dabei nicht als Problem, sondern müsse als Chance gesehen werden: eine Macht, die die Koalition der Willigen überhaupt erst schlagkräftig machen könne.
Generalleutnant Kai Rohrschneider, Kommandeur des Multinationalen Kommandos Operative Führung sowie des Joint Support and Enabling Command der NATO, behandelte in seinem Vortrag drei Punkte: Die deutsche Unsicherheit in einer multipolaren Welt, Russland als aktuelle Hauptbedrohung für Europa sowie die deutsche Gesellschaft und die Bedeutung der militärischen Dimension von Macht. Rohrschneider analysierte den unabhängig von Trump erfolgten Rückzug der USA aus dem euroatlantischen Raum und die Hinwendung zum indopazifischen Raum. Er betonte die Bedeutung der Nukleargarantie der USA für die Sicherheit Europas, das allerdings in der neuen, instabilen Weltordnung die Hauptlast der konventionellen Verteidigung tragen müsse. Ein umfassender Krieg Russlands gegen die NATO sei zwar unwahrscheinlich, denkbar sei aber eine Prüfung westlicher Entschlossenheit, möglicherweise ein begrenzter Angriff auf einen NATO-Partner, verbunden mit nuklearer Erpressung. Rohrschneiders Fazit: Wir müssen militärisch resilienter werden, um einen Krieg durch Abschreckung zu verhindern. Wir müssen aber auch als Gesellschaft im Ganzen resilienter werden: Zwar hätten wir seit 2022 Fortschritte gemacht, doch tue man sich besonders in Deutschland nach wie vor schwer mit der militärischen Dimension von Macht. Dabei hätten wir, so Rohrschneider, keine „Friedensdividende“ ausgegeben, sondern „eine ungedeckte Freiheitsanleihe“ verschwendet. „Wir müssen diese militärische Dimension von Macht annehmen und verstehen. Denn andere Mittel werden nicht helfen.“
Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, erinnerte an Bundespräsident Horst Köhler, der einen militärischen Schutz der Handelswege gefordert hatte, sich in der Folge massiver Kritik ausgesetzt sah und aus diesem Grund von seinem Amt zurücktrat. Schmidt sprach über die Zeitenwende, stellte aber die Frage, inwieweit diese in Wirklichkeit umgesetzt worden sei. Zentral sei eine breite gesellschaftliche Diskussion dazu, nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der politischen Auseinandersetzung. Mit Blick auf die USA konstatierte er: Wenn es dort heiße, dass die Europäer „gerne viel reden, aber dann nicht so gerne das Ruder für sich selbst herumreißen“, sei das zwar ein harter Vorwurf, „den wir aber nicht so leicht kontern können“. Die Kritik der Amerikaner sei berechtigt, wenn sie nach dem europäischen Fußabdruck fragen und eine faire Partnerschaft einfordern. Wir müssten, so die Forderung Schmidts, unsere Hausaufgaben machen. „Wir müssen es schaffen, dass die Amerikaner sagen: Donnerwetter, jetzt sind die Europäer da!“
Eine Podiumsdiskussion mit allen drei Referenten beschloss den ersten Abend.
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Prof. Dr. Stephan Bierling | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Generalleutnant Kai Rohrschneider | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Christian Schmidt | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung
„Stärke ist die Voraussetzung für Frieden!“
Der zweite Tagungstag begann mit dem Vortrag des US-amerikanischen Journalisten und Auslandskorrespondenten Erik Kirschbaum. Dieser betonte die Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschland und den USA – Konsensstreben hier, emotionale Debatten und Kampagnen gegen politische Gegner da, die Bedeutung von Planungen auf der einen Seite, Spontanität und ein „Cross the bridge when you reach it!“ auf der anderen. Natürlich gebe es auch Widerstand und Kritik an Trump, auch Demonstrationen mit tausenden Teilnehmenden. Kirschbaum unterstrich auch die Bedeutung der Gerichte, die Dekrete des Präsidenten im Fall der Fälle kassieren könnten. Wir, so Kirschbaum, sollten Trump nicht immer so ernst nehmen. Dem Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion, vor allem Kirschbaums Lob von Trumps Friedenswillen blieb nicht unwidersprochen. So verwies beispielsweise eine Tagungsteilnehmerin auf die Situation der Menschen in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine, erinnerte an die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und betonte, dass Besatzung durch ein Unrechtsregime nichts mit Frieden zu tun habe.
Es folgte der Vortrag von Prof. Dr. Gerlinde Groitl, Kollegin von Prof. Dr. Stephan Bierling an der Universität Regensburg, in dem sie zunächst über den Multilateralismus sprach und herausstellte, dass es keinen globalen Konsens mehr über die Spielregeln der internationalen Politik gebe – beste Beispiele seien der UNO-Sicherheitsrat oder die WTO. Das habe an sich nichts mit Donald Trump zu tun. „Wir gehen“, so Groitls nüchterne Analyse, „auf eine Welt zu, die weniger liberal und weniger regelbasiert sein wird“, eine Welt, in der „die Ellbogen ausgefahren werden“. Was folgt daraus für Europa und für Deutschland? Wir müssten nun „mehr Muskelmasse aufbauen oder mit den Konsequenzen leben“. Mit Blick auf die Ukraine hätten wir es uns sehr einfach gemacht, unsere Kritik an Trump sei hier „ziemlich billig“, denn: „Was haben eigentlich wir getan?“ Wichtig sei Abschreckung und die Voraussetzung für Abschreckung sei Stärke. Die Stärke der NATO liege dabei auch in ihrer politischen Geschlossenheit und hier sei auch Deutschland gefordert. Stärke, so Groitl pointiert, „ist die Voraussetzung für Frieden!“
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Thomas Hacker, Präsident der Thomas-Dehler-Stiftung, eröffnet den zweiten Tagungstag | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Erik Kirschbaum | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Prof. Dr. Gerlinde Groitl | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung
„Abschreckung ist die beste Verteidigung!“
Nach der Diskussion und der sich anschließenden Mittagspause sprach Botschafter a.D. Martin Erdmann über Zustand und Situation der NATO. Am Vortag, dem 9. Mai, hatte sich die Aufnahme Deutschlands ins Nordatlantische Bündnis zum 70. Mal gejährt. Dabei sei die NATO kein Militärbündnis gewesen, sondern ein politisches Bündnis und als solches ein „bedeutendes Führungs- und Gestaltungsinstrument für den gesamten Westen“. Trump habe es geschafft, die Glaubwürdigkeit und den Glauben an die Verlässlichkeit der USA nachhaltig zu erschüttern und dies färbe auf die NATO und weitere Institutionen des Westens ab. Dagegen habe Trump einen Punkt, wenn er die ungleiche Ausgabenverteilung zwischen den USA und Europa kritisiert. Durchaus optimistisch wollte Erdmann nicht an eine weitere Beschädigung der NATO durch Trump glauben: Die USA hätten Interesse an Ruhe und Stabilität in Europa, dies sei parteiübergreifender Konsens. Zudem sei Europa und gerade Deutschland mit Ramstein eine unersetzliche logistische Basis für alle operativen Fähigkeiten der USA in Afrika und im Nahen Osten. Zu einem möglichen NATO-Beitritt der Ukraine ergänzte Erdmann, dass dieser, wie auch der NATO-Beitritt Georgiens, Beschlusslage sei, ein solcher werde noch Zeit brauchen, aber langfristig erfolgen müssen. Schließlich schloss sich Erdmann seinen Vorrednern an, hob die Bedeutung von Abschreckung hervor – „Abschreckung ist die beste Verteidigung“ – und kritisierte, wie schwer dies der pazifistisch geprägten deutschen Gesellschaft vermittelbar sei.
Prof. Dr. Ulrich Schlie, Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn verwies in seinem Vortrag zunächst auf den Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt, der mit Blick auf die Periodisierung von Geschichte von „Zeiten des beschleunigten Wandels“ gesprochen hatte. In einer solchen Zeit würden auch wir leben. Es gebe einen grundlegenden Wandel im Nahen und Mittleren Osten, auch im Verhältnis zwischen den USA, Russland und China. Für uns in Europa sei die russische Herausforderung zentral, auf die wir eine Antwort finden müssten. Klar sei: Wir gehen in eine postamerikanische Welt. „Es könnte“, so Schlie, „die Stunde Europas sein – aber diesen Satz sagen wir seit 30 Jahren“. Wie können wir, so die grundlegende Frage, die Sicherheit Europas in dieser sich verändernden Welt garantieren? Europa, so die Antwort des Referenten, müsse die Abhängigkeit von den USA neu bewerten und verringern und zugleich die Partnerschaft mit Ländern mit ähnlicher Wertebasis suchen. Zugleich forderte er mehr Einigkeit zwischen den Ländern Europas.
Wie müssen Deutschland und Europa der sich verändernden, zunehmend regellosen Weltordnung begegnen? – so könnte man die Leitfrage der Nürnberger Sicherheitstagung 2025 auf den Punkt bringen. Die Diskutierenden waren sich weitgehend einig, dass den vielen Reden nun endlich Taten folgen müssten, dass Frieden nur durch Abschreckung erreicht werden könne und dass die Voraussetzung dafür der Aufbau militärischer Stärke sei. In der pazifistisch geprägten deutschen Gesellschaft müsse dahingehend ein Gesinnungswandel einsetzen. Wir hätten es uns, so Gerlinde Groitl, „in Deutschland lange geleistet, die Schwäche schönzureden – als ob das moralisch überlegen sei. Nein, das ist es nicht.“
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Botschafter a.D. Martin Erdmann | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Prof. Dr. Ulrich Schlie | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Die Moderatoren der Tagung: Ulrich Lechte und Prof. Dr. Eberhard Grein | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung -
Das Team der Thomas-Dehler-Stiftung. Von links nach rechts: Maik Schnierer, Erol-Kurt Lengauer-Hettlage, Sebastian Poensgen, Dr. Constantin Groth, Barbara Höß | Foto: Michael Hanuschke, (c) Thomas-Dehler-Stiftung
Die Nürnberger Sicherheitstagung ist eine Kooperationsveranstaltung des Deutschen Bundeswehr Verbands, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, der Clausewitz-Gesellschaft, des Verlags Nürnberger Presse, des Reservistenverbands Landesgruppe Bayern und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit / Thomas-Dehler-Stiftung. Auf der mehrtägigen Veranstaltung wird jedes Jahr ein aktuelles Schwerpunktthema aus unterschiedlichen Perspektiven systematisch beleuchtet. Mit ihren aktuellen Themen und hochkarätigen Referenten hat sich die Sicherheitstagung über Jahre hinweg eine überregionale Bedeutung erarbeitet.