Woher kommt die Ideologie des Islamismus?

Interview mit dem Orientalisten und Islamkenner Alexander Rieper
Meinung28.12.2017Sebastian Zajonz
Mensch beim Gebet im Sonnenuntergang
Mensch beim Gebet im Sonnenuntergangistock.com/saiyood

Der Islamismus ist für viele Menschen in Deutschland eine große Unbekannte. Sie glauben, dass der Islamismus die maßgebliche Strömung im Islam ist. Manche Menschen verneinen sogar, dass es einen modernen Islam gibt, der sich in Einklang mit modernen Demokratien bringen lässt. Deshalb ist Aufklärung notwendig. Heute im Gespräch mit Freiheit.org Alexander Rieper, Regionalbüroleiter in München, Orientalist und Islamkenner, der für die Thomas-Dehler-Stiftung über den Islamismus aufklärt.

Der Islam hat verschiedene Strömungen: Was unterscheidet für Sie den Islamismus vom Islam und warum prägt der Islamismus in unseren Medien das Bild vom Islam so stark?

Der Islamismus ist eine Ideologie, die sich natürlich auf den Islam bezieht. Ihr Hauptanliegen ist aber die Umsetzung eines politischen Programms, das, je nach Ausprägung, die Eroberung der Welt zum Ziel hat. Der Islam dient als Motivationsfaktor, weil man den Gläubigen weiß machen möchte, dass nur die verkürzte Botschaft des totalen Kampfes das Wesen des Islam sei. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall, der Islam kennt eine lange Geschichte der Theologie, die sich der Radikalisierung entgegenstellt. Im Moment liegt das berühmte „Momentum“ aber beim Islamismus. Er ist attraktiv für viele junge Menschen, die sich entrechtet und schlecht behandelt fühlen. Sie lassen sich zu einem Kampf verleiten, der den Kollaps der Ordnung zum Ziel hat, um eine islamistische Ordnung darauf aufbauen zu lassen. Und das dominiert auch die Berichterstattung in den Medien.

Alexander Rieper, Orientalist und Islamkenner
Alexander Rieper, Orientalist und Islamkenner Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Sie haben selbst einige Zeit in Iran verbracht. Wie gehen die Menschen dort mit dem Islamismus um, welche Rolle spielt er im Alltag für Menschen, die selbst einen gemäßigten Islam vertreten?

Im Iran, der schiitisch geprägt, hat der Islamismus eine andere Ausprägung. Die Revolution im Iran 1979 hat dazu geführt, dass der Islamismus nach Prägung von Khomeini Staatsdoktrin wurde. Dieser Islamismus hat viele Elemente westlichen Parlamentarismus aufgenommen, mit einem religiösen Überbau. Er ist bei weitem nicht so radikalisierend, was das Individuum angeht. Der schiitische Islam hat hier aber auch eine andere Tradition als der sunnitische, der in den arabischen Ländern vorherrscht. Dennoch ist es auch Doktrin der Islamischen Republik Iran, Israel zu zerstören, und solange die Mullahs herrschen, wird dies auch so bleiben. Mir schien es so, dass sich die Menschen im Iran eher fragen, was die islamische Ordnung tut, um ihnen ihr Leben zu verbessern, also zum Beispiel Bildung, Arbeitsplätze und gesundheitliche Versorgung. Die islamische Republik muss sich stets für ihre Existenz rechtfertigen, denn die Menschen wissen, dass auch andere politische Ordnungen möglich sind und diese nicht unbedingt religiös begründet sein müssen, damit es den Menschen gut geht.

Wie weit zurück geht die Ideologie des Islamismus und warum ist sie überhaupt entstanden?

Man kann den Beginn des Islamismus an verschiedenen Zeitpunkten verorten. Es handelt sich um eine Ideologie, die in einem bestimmen historischen Kontext entstanden ist, den ich im Ende des 18. Jahrhunderts verorte, also zu einer Zeit, als die europäische Expansion die arabische Welt in ihrem Kern erreichte und den arabischen Muslimen vor Augen führte, dass sie den Europäern militärisch unterlegen sind, und zwar deutlich. Das Bewusstsein der Rückschrittlichkeit führte zum Wunsch nach Reformen, um zurück zum Fortschritt zu kommen. Diese Reformen hatten unterschiedlichste Ausprägungen, die meisten waren säkular, zum Beispiel die Einführung eines modernen Verwaltungswesens. Es gab aber auch Denker, die die Lösung darin sahen, sich in die Zeit des Propheten Muhammad zurückzuversetzen, der im 7. Jahrhundert gelebt hat. Er und seine direkten Nachfolger haben enorme Eroberungen durchgeführt, das so genannte goldene Zeitalter, an das moderne Islamisten anknüpfen wollen. Daher lehnen sie auch alle zivilisatorischen Fortschritte der folgenden Jahrhunderte ab und bezeichnen diese als unerlaubte Neuerung in der Religion. Das ist der Grund, warum der moderne Islamismus ein so archaisches Auftreten hat und so rigoros ist. Der Islam des Mittelalters war daher viel fortschrittlicher als der jetzige Islamismus.

Der Islam des Mittelalters war viel fortschrittlicher als der jetzige Islamismus.

Alexander Rieper

Was können wir in Deutschland machen, um den Kampf gegen den Islamismus zu unterstützen?

Meiner Meinung nach ist das wichtigste, den Islamismus nicht mit dem Islam gleichzusetzen. Es ist zwar reizvoll, weil es der vermeintlich einfachere Weg ist, den Islam als Ganzes abzulehnen. Dies wird der Religion aber nicht gerecht. Was den theologischen Aspekt des Islamismus angeht, so kann hier die Antwort nur aus der Mitte der Muslime kommen, die zum Ausdruck bringen, dass es nicht ihre religiöse Überzeugung ist. Das ist übrigens heute schon der Fall. Die überwältige Zahl der Muslime in Deutschland sind keine Islamisten. Wenn es um den politischen Aspekt des Islamismus geht, so können die verschiedenen Akteure aus Politik und Gesellschaft Angebote machen, die der Radikalisierung entgegenwirken. Hier geht es um Bildung und Aufstiegschancen. Letzten Endes muss aber jeder für sich selbst die Entscheidung treffen, welchen Weg man geht. Islamisten predigen viel vom heroischen Tod. Dass es sich aber auch lohnt, einen Weg zu beschreiten, der zum Ziel hat, sich zu verwirklichen und nach Glück zu streben, muss jeder selbst erkennen. Wenn man sich aber dazu entscheidet, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu zerstören, dann muss unser Staat in Deutschland so wehrhaft sein, um diese Personen zu bekämpfen.