Europa und die Macht der Gefühle

Diskussion über die bindenden Kräfte Europas
Nachricht24.07.2017Markas Adeikis
Die Diskussionsteilnehmer im angeregten Austausch
Die Diskussionsteilnehmer im angeregten AustauschFriedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Europa zwischen Statistik und Emotionen
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

70 Jahre Frieden in Europa sollte für mehr Emotion sorgen

Die Emotionalisierung der Europapolitik stand im Mittelpunkt der Diskussion. FDP-Politiker Ulrich Lechte wies darauf hin, dass Europa schon seit 72 Jahren im Frieden lebt. Allein deshalb hat Europa mehr Pathos verdient. Auf den Vorwurf, Brüssel trage zur Bürokratisierung der Politik bei, wollte sich der FDP-Politiker nicht einlassen: „Nationalstaaten bauen manchmal noch mehr Bürokratie auf als die EU-Institutionen.“ Um das Interesse der Bürger an der EU zu stärken, empfahl Lechte, mehr positive Botschaften über die europäische Integration in der Öffentlichkeit zu verbreiten: Erfolge des Erasmus-Programms oder Vorteile der gesamteuropäischen Freizügigkeit seien die Errungenschaften, von denen EU-Bürger tagtäglich profitieren.

Bei der Sensibilisierung der Bürger für die EU-Themen spielt auch die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Politologin Cécile Prinzbach, selbst Mitorganisatorin beim zivilgesellschaftlichen Projekt für Europa „Pulse of Europe“, verwies auf verschiedene proeuropäische Initiativen wie „Stand Up for Europe“ oder eben auch „Pulse of Europe“, die vor allem für die emotionale Mobilisierung der EU-Bürger sorgen. Wider Erwarten beteilige sich laut Prinzbach nicht nur die jüngste Generation an diesen sozialen Bewegungen, sondern auch die Generation 40+, die für eine bessere Zukunft für ihre Kinder kämpfen will.

Ulrich Lechte, FDP Vorsitzender Regensburg
Ulrich Lechte, FDP-Vorsitzender RegensburgFriedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Europa nur eine Zweckgemeinschaft?

Peter Aumer war zurückhaltend bei der Idee, die Europapolitik emotionaler zu gestalten. Der CSU-Politiker betonte, dass in erster Linie die Wertegemeinschaft Europas gestärkt werden sollte: „Neben Pathos brauchen wir auch mehr Ethos.“ Laut Aumer war Europa nie emotional: Die Entstehung der EU sei der Situation geschuldet, dass sich Frankreich und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eher aus pragmatischen Gründen zusammengetan hätten. Gerade dieser Pragmatismus sei auch jetzt gefragt. Für Prinzbach hingegen war gerade die deutsch-französische Versöhnung ein besonders emotionaler Akt. Er hat Überwindung verlangt, und diese emotionale Aufladung ist aus ihrer Sicht weiterhin notwendig.

Politologin Cécile Prinzbach
Cécile Prinzbach, PolitologinFriedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Polen und Ungarn fordern den europäischen Integrationsprozess heraus

Im Anschluss suchten die Experten nach den Bindekräften Europas. Für Ulrich Lechte galt die starke deutsch-französische Achse als der entscheidende Antrieb der europäischen Integration: „Angesichts der autoritären Tendenzen in den Visegrád-Staaten und der schwächelnden Wirtschaft in den südlichen EU-Ländern soll dieser Achse wieder mehr Verantwortung zukommen.“ Von der aktuellen Bundesregierung verlangte der FDP-Politiker mehr Mut, europapolitische Visionen zu entwickeln.

Für Peter Aumer ist die Abstimmung der 28 EU-Staaten elementar, ohne sie kann die deutsch-französische Achse nur wenig bewegen. Mangelnde Gestaltungskraft erkennt er bei der Bundesregierung nicht Im Krisenmodus ist für ihn keine Zeit für Visionen.

Die Diskussionsteilnehmer im angeregten Austausch
Die Diskussionsteilnehmer im angeregten AustauschFriedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Ein emotionales Bekenntnis zu Europa

Cécile Prinzbach plädierte für ein stärkeres emotionales Bekenntnis zu Europa. Bürgerbewegungen mobilisieren und sorgen für proeuropäische Stimmung. Ihrer Einschätzung nach haben sie dazu beigetragen, den Siegeszug von Populisten in Frankreich abzuwenden. Für diese Mobilisierung seien nicht mal die Inhalte notwendig: Laut Prinzbach brauche die Gesellschaft die Motivation, nach den Lösungen gemeinsam zu suchen. Deswegen ist Europa für sie eine Frage von Visionen.

 

Populismus ist dabei eine Gefahr für Europa, mit scheinbar einfachen „Lösungen“ wird die EU angegriffen. Dabei spielt man dabei mit den Ängsten der Leute. Diesen antieuropäischen Populismus verortet Prinzbach Linksaußen wie Rechtsaußen. Sie sieht eine erhebliche Gefahr gerade auch bei Jungwählern. Sie haben sie in Frankreich in hohem Maße für die Populisten entschieden.

Zu Einigung auf eine Lösung, wie mit diesen Herausforderungen umzugehen ist, sind die Diskutanten nicht gekommen, in einem Punkt herrschte aber Einigkeit: Ob man einen legendären Liberalen Hans-Dietrich Genscher zitiert oder einen großen Konservativen Franz Josef Strauß – Europa ist und bleibt Deutschlands Zukunft.