Die USA haben gewählt: Ein gespaltenes Land hofft auf einen Neuanfang!

Analyse09.11.2020Ingmar Niemann
Präsidentschaftswahl USA 2020
Präsidentschaftswahl USA 2020© adamkaz _iStock Getty Images Plus GettyImages

Ein nicht eindeutiges Wahlergebnis

Ein langer, harter Wahlkampf ist am 03. November zu Ende gegangen. Nach mehreren Tagen des gespannten Wartens ist nun klar, Joe Biden wird der nächste, der 46. Präsident der USA.

Was mit voraussichtlich 306 Wahlmännern nach einem recht deutlichen Sieg aussieht, ist bei genauerer Betrachtung aber nur ein relativer! Denn eigentlich sind alle Beteiligten Gewinner dieser Wahl: Biden, da mit über 74 Millionen Wählerstimmen bisher noch nie ein Kandidat mit so vielen Stimmen in das Präsidentenamt gewählt wurde. Trump, weil er mit 240.000 Toten in der Pandemie und einem miserablen Krisenmanagement dennoch in der Lage war, 70 Millionen Wähler für sich zu gewinnen.

Mehr noch, die von vielen erwartete „blaue Welle“ (blau, die Farbe der Demokraten) blieb aus: Der Senat wird aller Voraussicht nach weiter unter republikanischer Kontrolle bleiben, obwohl von den 35 diesmal zu wählenden Sitzen nur 12 zuvor in demokratischer und 23 in republikanischer Hand waren.

Im Repräsentantenhaus haben die Demokraten sogar einige Sitze verloren, wenngleich sie dort auch die Mehrheit wieder erlangen werden. Dabei dürften die Unterstützer der Republikanischen Partei wohl nur zur Hälfte reine Trumpfans gewesen sein (Tea Party Bewegung etc.), die andere Hälfte hat wohl trotz Trump rot gewählt (rot, die Farbe der Republikaner), mehr der Inhalte wegen oder aus Solidarität mit der eigenen Partei bzw. der Kandidaten vor Ort.

Fazit: Ein „Durchregieren“ der Demokraten mit Biden an der Spitze wird es wohl nicht geben. „Bipartisanship“ (Überparteilichkeit) als Kooperationsmodell wird daher nötig sein, um die USA voran zu bringen. Sind dazu alle bereit?

Joe Biden – der Anti-Trump!

Nach 47 Jahren in der Politik (1973-2009 Senator für den Staat Delaware, 2009-2017 Vizepräsident unter Obama) und der 3. Bewerbung für das Präsidentenamt der USA (1988, 2008, 2020) hat Joe Biden sein Ziel erreicht. Er wird am 20. Januar 2021 als neuer US-Präsident vereidigt werden, daran bestehen kaum Zweifel. Damit wird es einen Neuanfang geben, denn Biden ist alles, nur nicht Trump-like!

Bidens Biographie (Verlust der ersten Ehefrau und zweier Kinder, sowie Wahlniederlagen) macht ihn zum Versöhner, zum Brückenbauer in schweren Zeiten. Politisch mehr im politischen Zentrum denn auf der „radikalen Linken“, wie viele andere führende demokratische Spitzenpolitiker wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren, angesiedelt, hat er als Senator den Bush-Einmarsch im Irak unterstützt aber auch „Obamacare“ zur besseren medizinischen Versorgung der sozial Schwachen. Biden scheint der richtige Mann zur richtigen Zeit zu sein, bei einem Wahlergebnis, das Kompromisse erfordert und einer globalen Gemengelage, die verstärkt nach internationaler Kooperation zur Lösung globaler Konflikte verlangt.

Biden & Harris

@JoeBiden  is a healer, a uniter, a tested, and steady hand. A person whose own experience of loss gives him a sense of purpose that will help us, as a nation, reclaim our own sense of purpose.

Kamela Harris @Twitter

Ist der Trumpismus am Ende?

Trump hat - trotz Niederlage - bewiesen, dass er wettbewerbsfähig und ein erfolgreicher Wahlkämpfer ist. Immerhin hat er von einem schier aussichtlosen Rückstand aus innerhalb des letzten Monats vor der Wahl 6% an Zustimmung aufholen können. Mit ein / zwei Wochen mehr Zeit hätte er es erneut in das Präsidentenamt schaffen können, nur diese Wochen gab es nicht mehr. Selbst bei den Hispanics konnte er bei dieser Wahl punkten, er steigerte sein Ergebnis von 30% (2016) auf 35% (2020). Und auch bei der afroamerikanischen Bevölkerung erhielt er 15% der Stimmen. Es waren die Frauen aus den Vorstädten und die älteren Bevölkerungsgruppen, die von seinem Corona-Management abgeschreckt wurden, und ihm die Unterstützung zu großen Teilen verweigerten.

Dennoch: Trump ist der „900 Pfund Gorilla in der Republikanischen Partei“ (Mitt Romney), der trotz Niederlage nach wie vor die Partei dominiert. Mit seinem Versuch über die Gerichte an der Macht zu bleiben, wird er scheitern. Diese werden ihm nicht aus der Patsche helfen, denn kein Richter will sein Renommee ruinieren, nur um im Sinne des Präsidenten über mögliche Vermutungen zu entscheiden. Und der Supreme Court hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass er für Wahlanfechtungen nicht zuständig, sondern dass dies eine Angelegenheit der Bundesstaaten sei.

Ob wirklich die Softwareprogramme „Hammer“ oder „Scorecard“ betrügerisch zur Wahlmanipulation eingesetzt wurden, wie eine Trump Anwältin zuletzt behauptete, muss an dieser Stelle offen bleiben. Den deutlichen Wahlmännervorsprung von Biden in den vielen Swing-States dürften jedoch mögliche rechtliche Korrekturen kaum beeinträchtigen.

Bleibt die Frage, ob die republikanische Partei mit Trump weitermachen oder ob sie sich wieder auf „alte Werte“ der GOP wie Freihandel oder internationale Partnerschaft konzentrieren will? Nicht auszuschließen ist, dass sie 2024 wieder mit Trump antritt. Für Trump selbst vielleicht sogar eine Vision, um sich jetzt erhobenen Hauptes aus dem Kampf um das Weiße Haus zurückzuziehen, unter dem Motto: „Ich komme wieder!“ Letztlich ist die Partei derzeit ohne alternative Führungspersönlichkeiten.

Hohe Erwartungen und Hoffnungen an die neue Administration

Joe Biden hat sein Programm bereits skizziert. Zusammen mit seiner Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris – der ersten Frau in diesem Amt – will er die Nation einen, Präsident aller Amerikaner sein. Dazu gehören Sozialprogramme wie auch ein versöhnlicherer Ton in der Außenpolitik, verstärkte Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise und Stützungsmittel für die Wirtschaft. All das kann helfen um die Wunden der Nation zu heilen. Doch was ist, wenn die andere Hälfte auf ihrem Standpunkt beharrt und die Kompromisse – im Senat – nicht zulässt?

Es bleibt die Möglichkeit, im Januar 2021 bei zwei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia, für eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Senat zu sorgen. Sollten beide Sitze von den Republikanern zu den Demokraten wandern, dann gäbe es eine Patt-Situation im Senat, so dass die Vizepräsidentin, die Vorsitzende im Senat ist, eine entscheidende - demokratische -Stimme hätte. Es steht daher dem Land noch ein entscheidender Wahlkampf bevor, der sicherlich der härteste und teuerste Senatswahlkampf in der Geschichte der USA werden wird. Die Wahlen sind also noch nicht vorbei!

Ingmar Niemann ist Politikwissenschaftler und Experte für Internationale Beziehungen. Er ist selbstständiger Berater, Lehrbeauftragter und Dozent. Für die Thomas-Dehler-Stiftung analysiert Ingmar Niemann regelmäßig Zusammenhänge aus den Bereichen Globalisierung und Internationale Politik.