Das bayerische Polizeiaufgabengesetz: Auf der Suche nach der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit

Innenpolitische Experten diskutieren mit Studierenden in Regensburg über die Kontroversen zum aktuellen bayerischen Polizeiaufgabengesetz.
Nachricht07.06.2018Markas Adeikis
Der große Saal der Uni Regensburg ist gut gefüllt
Der große Saal der Uni Regensburg ist gut gefülltFriedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit war schon immer ein vieldiskutiertes Thema. Mit der diesjährigen Novelle des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes erhielt die Diskussion neuen Auftrieb: Der CSU-Staatsregierung wird vorgeworfen, einen Präventivstaat aufzubauen und damit Bürgerrechte beschneiden zu wollen. Um die Bürger darüber aufzuklären, hat die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit der Liberalen Hochschulgruppe Regensburg am zur Diskussionsveranstaltung „Wie viel Sicherheit braucht die Freiheit? Austausch zu PAG & Co.“ an der Universität Regensburg eingeladen.

Auf dem Podium haben erfahrene Experten dem zahlreichen, durchaus jungen Publikum ausführliche Einblicke in das aktuelle politische Thema geboten: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerin (FDP), Jürgen Mistol, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag, und Prof. Dr. Gerrit Manssen, Experte für Öffentliches Recht von der Universität Regensburg, zeigten die Probleme, die das aktuelle Polizeiaufgabengesetz für die Freiheit in Bayern schafft.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Stargast des Nachmittags, wies in ihrem anfänglichen Impulsvortrag auf offene Fragen hin, die das reformierte Polizeiaufgabengesetz aufwirft: „Es ist immer noch nicht ersichtlich, inwieweit die Befugnisse der bayerischen Polizei jetzt greifen werden und wo die Grenzen dieser Befugnisse sind.“ Eines sei aber klar – es ist sinnlos, die Gesetzesverschärfungen einzuleiten, wenn nicht mal das bereits vorhandene Recht effektiv angewandt wird. Angesichts der Tatsache, dass die Kriminalitätsraten im Freistaat seit 30 Jahren sinken, seien die Forderungen der Staatsregierung nach mehr Law-and-Order-Politik geradezu absurd, so Leutheusser-Schnarrenberger.

Ganz vehement kritisierte die ehemalige bayerische FDP-Vorsitzende die ins Gesetz eingetragene vage Rechtsfigur der „drohenden Gefahr“, durch die polizeiliche Ermittlungen ganz weit ins Vorfeld potenzieller Taten verlagert werden dürfen: „Somit geraten Bürger in Verdacht, die sich nichts zu schulen kommen ließen.“ Laut Leutheusser-Schnarrenberger übernimmt die bayerische Landespolizei somit die Aufgaben, die eher dem Nachrichtendienst oder dem Bundeskriminalamt zur Terrorabwehr zustehen sollten, und das sei nicht vereinbar mit dem Grundgesetz.

Zudem findet die ehemalige Bundesjustizministerin die Ausgestaltung der Gesetzesverschärfungen äußerst diffus: Während das Bundeskriminalamts-Gesetz die Definition „drohende Gefahr“ ausschließlich mit der Terrorbekämpfung verknüpft, erlaubt das bayerische Pendant nach vagen Verdachtsmomenten eine flächendeckende polizeiliche Kontrolle sogar in alltäglichen Situationen. Leutheusser-Schnarrenberger bezweifelt, ob diese Kontrolle überhaupt effektiv ist: „Statistisch wird nur zu selten untersucht, ob solche Maßnahmen tatsächlich für mehr Sicherheit sorgen.“

Rechtsexperte Prof. Dr. Gerrit Manssen äußerte eine eher gemäßigte Position: „Das aktuelle Polizeiaufgabengesetz ist nicht im Ganzen schlecht, aber zahlreiche Passage werden künftig für mehr Rechtsstreite bei Amtsgerichten sorgen.“ Viele Bürger werden laut ihm nicht hinnehmen, dass die Kompetenzen der Polizei so stark erweitert werden.

Grünen-Politiker Jürgen Mistol betonte, dass die bayerische Staatsregierung bisher nicht begründen konnte, warum das Gesetz verschärft wurde: „Es ist selbstverständlich, dass der Freistaat Sicherheit braucht, aber die Sicherheit muss in der Balance zur Freiheit stehen.“ Wenn diese Balance gefährdet wird, verringere das laut Mistol das Vertrauen in staatliche Institutionen.

Die Bemühungen der Regierung, den Straftaten noch im Vorfeld zu verhindern, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger als ineffizient: „Die Gefahren-Prognosen basieren oft auf beliebigen Kriterien: Ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, Kaufverhalten auf den Internetseiten oder Reisen zu bestimmten Ländern können den Bürgern als eine Begründung zur 'drohenden Gefahr' ausgelegt werden, was die Polizei zu Grundrechtseingriffen veranlassen kann.“

Außerdem hegte Leutheusser-Schnarrenberger den Verdacht, die Staatsregierung möge durch die Gesetzesverschärfungen von den Mängeln bei der technischen Ausstattung der Landespolizei ablenken. Vielmehr plädierte sie für die intensivere Ausbildung von zusätzlichen Polizisten sowie die stärkere polizeiliche Kooperation auch außerhalb der Landesgrenzen – somit würden die aktuellen umstrittenen Gesetzesnovellen laut der FDP-Politikerin obsolet.

Anschließend gingen die Gäste auf die Fragen des Publikums ein. Die Teilnehmer interessierten sich vor allem für den möglichen Machtmissbrauch der Polizei im digitalen Raum. Auf die Frage, ob es verhältnismäßig ist, dass die Polizei nach dem aktuellen Gesetz befugt ist, die privaten Kommunikationsverbindungen präventiv zu manipulieren und Nachrichten zu verändern, antwortete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit einer deutlichen Kritik: „Der Staat als Hacker verbreitet in der Bevölkerung definitiv kein Sicherheitsgefühl.“ Hingegen vertritt Prof. Dr. Gerrit Manssen die Meinung, dass die Polizei über genügend Mittel verfügen muss, um wehrhaft zu bleiben: „Wenn die Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden müssen, dann auch gefälligst im digitalen Raum.“

Da das neue Polizeiaufgabengesetz in Bayern bereits am 24. Mai in Kraft getreten ist, haben die Experten zum Schluss Lösungen angeboten, wie die Bedenken zu Freiheitsbeschränkungen ausgeräumt werden könnten. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schlug vor, Vorgaben, nach denen intensivere Polizeiermittlungen eingeleitet werden, im Gesetz enger und präziser zu konkretisieren, damit die Landespolizei nicht zu viel Raum für Interpretationen hat. Jürgen Mistol setzte sich für die Möglichkeit ein, gegen das Gesetz eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof einzureichen, während Prof. Dr. Gerrit Manssen an die Tauglichkeit der Popularklage zweifelte und empfahl, einzelne Passagen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht anzufechten. Als letztes erwähnte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger einen politischen Lösungsweg, wenn bayerische oppositionelle Parteien bei den möglichen Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl die Rücknahme der aktuellen Gesetzesnovellen als eine Koalitionsbedingung erklären.

Für die ehemalige Bundesjustizministerin gilt die ganze Diskussion als eine konstruktive Wertedebatte: „Die Bürger wählen nie Politiker, die nur etwas ablehnen. Nur wenn man sich für die Wiederherstellung der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit einsetzt, wird die Gesellschaft unsere Bemühungen honorieren.“